English version below.
Es gibt in Deutschland zwei Dinge, die ein Endlager gebrauchen könnten und immer noch keins haben. Die Rede ist natürlich von radioaktiven Abfällen und von Kunst. Die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand. Keiner will/kann sie wegschmeißen, es gibt eine ganze Menge davon, die Lagerung ist teuer und kompliziert und sowohl Kunst als auch Atommüll sind hochsensibel. Die politische Diskussion um ein Endlager für Atommüll dreht sich im Kreis und es ist nicht abzusehen, ob jemals eines gefunden werden kann.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob Museen überhaupt noch ihrer Funktion als Ausstellungsort gerecht werden, oder nicht eher große Depots deutschen Kunstbesitzes sind – Heterotopien unserer Zeit.
Wie könnte man festgefahrene Strukturen aufbrechen und sowohl kuratorisch als auch finanziell, räumlich und Endlager-technisch neue Wege gehen? Warum nicht Atommüll und Kunst zusammendenken und ein gemeinsames Endlager schaffen?
In dem Essay Ein Endlager für Kunst für das Frame[less]-Magazin wird diese Überlegung analysiert und die Ermöglichung in Stuttgart skizziert. Heterotopien ist das Dachthema der Herbstausgabe 2021 des Frame[less]-Magazins, einem „digitale(n) Magazin für Kunst in Theorie und Praxis“. Frame[less] vesteht sich als kostenlose Online-Plattform, die aus Beiträgen von Studierenden, Wissenschaftler:innen und Kreativschaffenden zu für sie relevanten und aktuelle Themen besteht. ProHalbjahr wird eine Ausgabe veröffentlicht, die keinem vorgegebenen Design unterliegt, sondern der Kreativität der Beitragenden freien Lauf lässt.
Frame[less] setzt sich für die Publikation neuer, teils revolutionärer Sichtweisen und Ideen rund um die Kunstwelt ein. „Das Magazin versteht sich als Teil des wissenschaftlichen Diskurses und der Reflexion der Kunstdebatte im deutschsprachigen Raum.“
Wie genau Herr Clairs Vorschlag zur gemeinsamen Endlagerung aussieht, ist weiter nachzulesen oder unter: http://framelessmagazin.de/herr-clair-boetschi
There are two things in Germany that could use a final repository and still don’t have one. We are talking, of course, about radioactive waste and art. The similarities are obvious. No one wants to/can throw it away, there is a whole lot of it, storage is expensive and complicated, and both art and nuclear waste are highly sensitive. The political discussion about a final repository for nuclear waste is going round in circles and there is no telling if one will ever be found.
At the same time, the question arises as to whether museums are still fulfilling their function as exhibition venues at all, or whether they are not rather large depots of German art possessions – heterotopias of our time.
How could we break up entrenched structures and break new ground both curatorially and financially, spatially and in terms of final storage? Why not think nuclear waste and art together and create a joint final repository?
In the essay A Final Repository for Art for Frame[less] magazine, this consideration is analyzed and the enabling process in Stuttgart is outlined. Heterotopias is the umbrella theme of the Fall 2021 issue of Frame[less] magazine, a „digital magazine for art in theory and practice.“ Frame[less] is a free online platform that consists of contributions from students, academics, and creative professionals on topics that are relevant and current to them. One issue is published every six months, which is not subject to a predefined design, but gives free rein to the creativity of the contributors.
Frame[less] is committed to publishing new, sometimes revolutionary perspectives and ideas around the art world. „The magazine sees itself as part of the academic discourse and reflection on the art debate in the German-speaking world.“
What exactly Mr. Clair’s proposal for joint final storage looks like can be read further or at: http://framelessmagazin.de/herr-clair-boetschi
Zwei Probleme, eine Lösung: die Planung eines Endlagers für Atommüll soll Kunstsammlungen entlasten, sowohl logistisch als auch finanziell. Eine große Idee, eigenwillig formuliert – Clair Bötschi erklärt, wie es funktioniert! Purer Ernst oder Provokation? Künstlerischer Beitrag oder Projektidee?
Ein Museum ist eine Heterotopie der Zeit. Es spiegelt die Kulturgeschichte wider und verhandelt kulturelle Relevanz immer wieder neu. Es speichert Zeit und bietet der Gesellschaft einen Raum zur Reflexion.
Das muss wohl in Zeiten von Foucault, der den Begriff Heterotopie prägte, gestimmt haben. Heute dagegen nähern sich Museen immer mehr der Norm des Zeitgeistes an. Relevanz wird durch den Markt der Aufmerksamkeit hergestellt. Die Ausstellungen werden bombastischer, größer und schneller. Mehr ist mehr. Ein Hoch auf das Wachstum, die Moral und den Zeitgeist. Museen und besonders Kunstmuseen sind nicht mehr Heterotopien und damit keine Gegenräume in einer Gesellschaft, die fortwährend auf Fortschritt und Wachstum setzt. Gerade der heutige Zwang einen gesellschaftsrelevanten Beitrag zu leisten, wie es in der Zeitgenössischen Kunst zu beobachten ist und damit immer schnelleren moralisch-politischen Themen ein herzufallen, bietet nur einen oberflächlichen Raum der Reflexion und ist eigentlich nicht zu unterscheiden von einem Shopping-Center. Die Moden kommen und gehen und das, was relevant bleibt, wird ins Depot geschoben.
Wenn man den Begriff Heterotopie ernst nimmt und sich auf die Suche nach einem Gegenraum in der Gesellschaft macht, kann man diesen heute vielleicht am ehesten im Kunstdepot erkennen. Wer es schafft die sakrosankten Hallen zu betreten – – dem eröffnet sich ein Ort mit einem eigenen Verständnis von Welt, Zeit und Geschichte. Kunstdepots sind Orte die außerhalb des Zeitgeistes stehen und die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden.
Doch das Kunstdepot ist in Gefahr. Es wird zu einer immer größeren Belastung für die Museen. Gerade weil es eine Heterotopie ist – ist es nicht marktfähig und relevant. Zwar wird alle Jahre mal etwas Besonderes, fast Vergessenes im Kunstdepot gefunden und dann ans Licht geholt – aber über 90 % einer Sammlung erblickt nicht mehr die Ausstellungsräume. Je nach finanzieller Ausstattung kümmern sich die Museen mal gut bis weniger gut um die kulturellen Hinterlassenschaften. So vergammelt langsam, aber sicher die Kunst und wenn nicht – verbraucht sie ungeheure Summen bei den einzelnen Institutionen. Da fleißig neue Kunst produziert und angekauft wird, gibt es ein immer größer werdendes Platzproblem. Wohin also mit dem teuren Edelmüll, wie die Wochenzeitung Die Zeit einmal titelte?
Ein Endlager für Kunst ist die Lösung. Ein zentrales Depot für das künstlerische Erbe der Gesellschaft, um die Museen zu entlasten, die Depots zu leeren und einen wirklichen Gegenort, eine Mega-Heterotopie in der Kunst zu schaffen. Doch wo in Deutschland sollte dieses Endlager sein?
Wer sich mit Endlager-Suchprozessen auskennt, weiß, wie langwierig und schwierig die Suche nach einem sein kann. Deutschland sucht gerade ein Endlager für radioaktive Abfälle (Atommüll) und die Blockaden, Bedenken und Ablehnungen werden den Prozess auf Jahre hinziehen. Keiner will den Atommüll vor seiner Tür haben und das ist auch verständlich. Doch die Kraft der Kunst kann das ändern. Wie wäre es, wenn wir ein Endlager für Kunst und Atommüll zusammendenken würden und damit den bisherigen rein wissenschaftlich-technischen um einen kulturellen Prozess erweitern?
Durch die Kombination von radioaktiven Abfällen und Kunst ändert sich die Bedeutung und Ausstrahlung eines Endlagers. Das künstlerische und technische Erbe gilt es zu bewahren und nicht in Vergessenheit zu kippen. Wie wäre es zum. Beispiel, wenn die Kommune oder Stadt, welche ein Endlager für Deutschland errichtet, einen Großteil der Kunstwerke, die schon jetzt nur in Depots liegen, von den anderen Bundesländern geschenkt bekommen würde – – als kulturellen Ausgleich? Das könnte einen Anreiz bieten, sich für ein Endlager zu entscheiden und würde zwei Endlagerprobleme lösen. Als Künstler und Ökonom befasse ich mich schon mehrere Jahre mit dieser Frage. Im Folgenden möchte ich die Region Stuttgart als erstes Endlager für Kunst und Atommüll vorschlagen und ihnen einen möglichen Standort vorschlagen.
Am 28. September 2020 wurde der Zwischenbericht Teilgebiete von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) veröffentlicht. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Deutschland und auch die Region Stuttgart – genauer der Stadtbezirk Bad Cannstatt ist mit dem sogenannten kristallinen Wirtsgestein (Granit und Gneis) noch im Rennen.
Zwar bemühte sich das Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart zugleich um eine Untauglichkeitserklärung, es handle sich um ein Heilquellenschutzgebiet, aber fast jede Kommune, die in Deutschland betroffen ist, hat scheinbare Gründe gefunden, warum sie eben nicht geeignet ist. Das zeigt hervorragend die gesellschaftliche Haltung zu diesem Thema. Dabei hat Stuttgart neben den geeigneten geologischen Formationen auch die Human Resources zu bieten. Die Tunnelarbeiten von Stuttgart S21 sind fast fertig und es könnte somit zeitnah mit den ersten Bohrungen für ein Endlager begonnen werden. Die Karte vom Zwischenbericht Teilgebiete zeigt, wo der passende Untergrund ist. Stuttgart-Mitte, Zuffenhausen und Untertürkheim sind nicht geeignet. Ein perfekter Standort für das Endlager wäre der Stadtbezirk Bad Cannstatt, genauer das Gebiet des Kraftwerk Stuttgart-Münster in der Neckarvorstadt.
Schon jetzt ist das Kraftwerk ästhetisch ein Ort, wo Energie auf Gestaltung trifft. Die Architektur spricht eine brutale Sprache der Zeitlosigkeit. Die Travertinsäulen, die bestellt und nie abgeholt wurden, können in diesem Sinne auch als Symbol eines Gegen-Orts der Gesellschaft gesehen werden. Hier, zwischen Kraftwerk, Recycling-Hof und Travertinpark schlummert eine Heterotopie, die es aufzugreifen gilt und die durch das Ansiedeln des Endlagers ins Unermessliche vergrößert werden würde. Die Infrastruktur mit Straße, Fluss und Schiene (Eisenbahnviadukt) istsind für ein Depot und Endlager perfekt. Hier könnten die Bergbauarbeiten zeitnah beginnen und der Schlund in das unterirdische Endlager würde sich öffnen. Später könnte die bestehende Kraftwerks-Architektur umgenutzt und umgebaut werden, sodass hier ein überirdisches Kunstdepot geschaffen werden würde.
Wichtig wäre dabei, dass der Ort an sich den Charakter von heute behält und nicht kulturell aufgewertet werden würde. Direkt hier könnte ein Endlager entstehen, welches eine wirkliche Heterotopie darstellt – – kein totes urbanes Quartier, wie überall sonst. Die Neckarvorstadt würde zum Endlager von Kunst und Energieerzeugung – – genau dieser kreativen Gesellschaft.
Das Endlager in der Neckarvorstadt könnte aus drei Teilen bestehen. Der oberirdische Teil könnte als Kunstdepot genutzt werden. Von hier würden große Stollen in die Tiefe gehen zum zweiten Komplex, – wo mittel – und leicht radioaktive Abfälle gemeinsam mit Kunstwerken gelagert würden. Der dritte Teil des Endlagers wäre noch tiefer gelegen und würde Platz bieten für die 5000 Castoren mit dem hoch – radioaktiven Abfall.
Dass dies gar nicht so abwegig ist, konnte ich 2019 auf einer künstlerischen Forschungsreise in das Zwischenlager Covra NV im niederländischen Vlissingen erfahren. Hier werden schon längst Kulturgüter und radioaktiver Abfall gemeinsam gelagert. Museen aus der Region können dies kostenlos beantragen und nehmen das Angebot gerne an. Denn sowohl der „“Edelmüll“” als auch der radioaktive Abfall brauchen das Gleiche. Ein konstantes Klima, wenig Umwelteinflüsse und eine maximale Sicherheit. Während der radioaktive Abfall in Betonfässer gelagert wird, können die Kunstwerke Dank des perfekten Klimas offen gezeigt werden. Was lässt sich daraus für Stuttgart lernen?
Es ist nicht nur möglich Kunst und radioaktiven Abfall gemeinsam zu lagern, sondern wirtschaftlich sinnvoll. Dabei reicht es nicht, dass Museen kostenlos lagern können. Nein, das Stuttgarter-Endlager-Modell würde voraussetzen, dass sich die Eigentumsverhältnisse der Kunst ändern würden. Mindestens 50 % der Kunstwerke aus allen Depots in Deutschland, welche in öffentlicher Hand sind, sollten in das Eigentum der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) überführt werde. Das würde die Museen entlasten, die BGE zu einem der wertvollsten Unternehmen machen und das Endlager in der Neckarvorstadt zum größten Lager für Kunst in Deutschland. Natürlich müssten den anderen Bundesländern hierfür zusätzlich einen finanziellen Ausgleich schaffen, der die Erweiterung des Endlagers für Kunst ermöglicht und die dauerhafte und wiederkehrende Restauration der Kunstobjekte erlaubt. Wie genau das funktionieren könnte, ist noch offen. Klar ist, dass sich der Endlagersuchprozess, durch die Erweiterung mit Kunst, vereinfachen würde und eine Umsetzung wahrscheinlicher erscheint. Für den Atommüll sollten wir Verantwortung übernehmen – – für die Kunst müssen wir das. Eine Gesellschaft, die das nicht einsieht – – ist nicht zukunftsfähig. Stuttgart könnte als gutes Beispiel vorangehen und sich für ein Endlager bewerben. Worauf warten wir noch?